Der lange Weg nach Kiew

Eigentlich hat mich mein fahrbarer Untersatz nur fast nie im Stich gelassen. Und wenn ich die Geschichte im Nachhinein betrachte, dann ist das auch so. Los ging das Ganze auf der Autobahn zwischen Opeln und Katowice in Polen. Ausgerechnet in Polen. Mein mausgrauer Van schnurrte mit 160 Sachen über die Autobahn und mitten in meiner fröhlichen Stimmung (ich zog mir gerade ein Hörspiel rein) sehe ich im Rückspiegel schwarze Wolken. Na ja, schwarze Rußwolken sind im Osten Europas wahrlich keine Seltenheit. Die betagten Busse und LKWs östlicher Bauart tragen schwer an ihrer Last und ziehen beim Beschleunigen voluminöse schwarze Rußwolken mit sich.

Plötzlich ich auch.

Das Problem legte sich etwas, als die Autobahn ihr Ende ankündigte: Ende der Ausbaustrecke, Baustelle – was nun folgte, ist straßenbauliches Reliktgestein vom Feinsten. Völlig kaputte Straße auf eines der polnischen Hauptrouten im Jahre 2002. Natürlich, überall wird fieberhaft gebaut. Aber es wird noch das eine oder andere Jahr vergehen, bis man bequem von Görlitz nach Krakau reisen kann, ohne Reifen, Fahrwerk und Bandscheiben übermäßig zu beanspruchen.

Aber wir waren bei meinem Rußproblem.

Im Schneckentempo zog jetzt eine kilometerlange Blechlawine Richtung Osten. Mein Van hustete schwarze Wolken bei jeder Anfahrt und bei jedem Gangwechsel. Langsam wurde mir angst und bange. Motorschaden? Nein – bitte nicht fern der Heimat und bitte nicht in Polen. In Katowice beschloss ich erst mal die Kolonne zu verlassen. Hier hat übrigens General Motors ein weitläufiges Opel-Werk errichtet. Das ist bestimmt eines der größten Einzelinvestitionen in Polen. Was nutzt mir das? Mein Minivan stammt aus dem Hause Renault. Ich parkte das Auto vor einen großen Kaufmarkt (Tesco aus Großbritannien) in der Hoffnung, etwas Abkühlung bringt meine Karre wieder auf Trab. Die Techniker mögen jetzt lachen, aber ich spreche an dieser Stelle eben von Hoffnung und nicht vom technischen Sachverstand. Im Übrigen: der Motor lief im Leerlauf einwandfrei und er ließ sich auch – ohne die Last der Kupplung – freudig drehen. Dem technischen Sachverstand folgend, kam ich dann von selbst auf die Idee den Luftfilter zu prüfen. Musste aber enttäuscht feststellen, an dem lag es nicht. Eine Konferenzschaltung per Handy, zwischen mir, meinem Büro in München und dem Renault-Vertreter meines Vertrauens bei München brachten mich auch nicht weiter. Das Ergebnis, wenn nicht der Luftfilter dann vielleicht ein Bruch im Auspuffsystem. Oder defekte Düsen für die Dieseleinspritzung. Ja, und dann war da noch die Empfehlung des Tages: In jedem Fall sollte ich sofort eine Renault-Werkstatt aufsuchen.

Selbstverständlich, ich kenne alle Polen-Witze aus der Harald-Schmid-Show und nun fahre ich mit meinem kränkelnden Minivan durch Polen. Eine Werkstatt – sie werden sofort mein mausgraues Auto in ein leuchtendes Rot oder Blau umlackieren. Oder sie bauen mir irgendwelche Teile aus, die dann meistbietend weiterveräußert werden. Und erst nach 1000 Kilometer merke ich, dass die Lichtmaschine fehlt, der Anlasser oder das Reserverad nebst Bordwerkzeug. Warum passiert mir das ausgerechnet in Polen? Schlussendlich kam ich dann zur folgenden Einschätzung: Der Motor ist in Ordnung – das war Fakt. Der Wagen dröhnt und hustet – also ist etwas in der Auspuffanlage kaputt und es bildet sich dort ein Rückstau, der Motor kann nicht einwandfrei verbrennen und fängt an zu husten. Ja, so muss es sein. Damit sollte man noch fahren können müssen. Mit diesen Gedanken erreichte ich am frühen Abend die Grenze zwischen Polen und der Ukraine.

Am nächsten Tag. Zwischen Lemberg und Kiew informierte ich Anna über mein automobiles Problem und gab ihr die technischen Daten des Fahrzeuges durch, insbesondere handelt es sich hier um einen Diesel. Es war früh am Vormittag und ich plante meine Ankunft am späten Nachmittag in Kiew. Auto auspacken und sofort ab in eine qualifizierte Renault-Werkstatt. Das war meine Vorgabe und die wurde fast perfekt eingelöst: Die Renault-Werkstatt war natürlich für viele Tage im Voraus ausgebucht. Nein, es sind kurzfristig keine Termine frei und wir können auch nichts machen. Schließlich bekam Anna einen Termin für den nächsten Tag um 9:00 Uhr. Ein Widerspruch? Nein, denn so tickt die Ukraine. Am nächsten Morgen gegen 8:45 Uhr finden wir die Renault-Werkstatt in Kiew. Wirklich, ein Renault-Schild von außen kündigte qualifizierte Hilfe an. Ein Pförtner öffnet uns das Tor und wir fahren in einen großen Hof. Ich sehe keinen Renault stehen, dafür aber viele japanische Fahrzeuge. Ich parke das Auto und wage ein Blick in die nebenstehende Werkstatt. Eine große geflieste Halle mit fünf oder sechs Hebebühnen. Nicht schlecht, fast wie bei Auto Unger in Deutschland oder so, nur kein einziger Renault zu sehen.

Nach einer viertel Stunde Wartezeit (ich kam schließlich eine viertel Stunde zu früh) wurde ich an das hintere Ende der Werkstatt gebeten. Eine extra Einfahrt – hier war die Renault-Werkstatt. Nein, ich meine das keineswegs ironisch. Fünf junge Mechaniker gekleidet im vertrauten Renault-Outfit erwarteten mein Auto. Na ja, wie man in der Ukraine eben etwas erwartet. Sie standen rauchend da und warteten bis ich das Auto in die enge Werkstatt bugsiert hatte. Aus irgendeinem Grund ließ ich vorne die Seitenscheiben runter. Mit der Ruhe, die nur ein echter Ukrainer so ausstrahlen kann – nein, es waren fünf Ukrainer – wurde mein Auto an ein Diagnosegerät angeschlossen. Das dauerte – ein oder zwei Zigarettenlängen lang. Irgendwie brennen ukrainische Zigaretten länger als deutsche Zigaretten in Deutschland. Hat schon mal jemand darüber nachgedacht? Anna gab jetzt den Mechanikern zu verstehen, dass „Parteigenosse Kristan“ so langsam die Geduld verlieren würde.

Die Renault-Experten tanzten um das Auto, aber das Diagnosegerät zeigte keinen Fehler an. Der Motor läuft einwandfrei. Was für eine neue Erkenntnis dachte ich bei mir. Plötzlich kam ein Mechaniker auf die Idee kräftig am Gas zu spielen. Die Maschine heulte auf und eine Rußwolke, die einen T-64 Panzer alle Ehre gemacht hätte, ließ die unmittelbare Umgebung einschwärzen. Anna und ich sprangen im letzten Moment zur Seite und ich wusste nun, warum ich die Seitenfenster geöffnet hatte. Überall setzten sich feine Rußpartikel in der Werkstatt, vor der Werkstatt und in meinem Auto ab. Na Mahlzeit. Nach dieser kleinen Aktion gaben die Techniker auf. Drei von denen zogen kommentarlos von dannen, bestimmt eine Zigarettenpause machen. Einer baute das Diagnosegerät wieder ab und Kumpel Nr. 5 erklärte uns: Man habe mit Dieselfahrzeugen keine Erfahrung und Renault verkauft in Kiew sowieso keine Diesel-Autos. Außerdem besitzt die Werkstatt kein Handbuch. Daraufhin machte der Manager die Rechnung von 60 Griwna fertig und empfahl uns eine Werkstatt auf der anderen Seite der Stadt. Klasse, als ob sie es nicht schon früher gewusst hatten, dass sie nicht genug von Diesel-Fahrzeugen wissen. Jetzt war mich auch klar, warum die Werkstatt auf Tage so ausgebucht ist. Rechnet man nämlich alle Raucherpausen zusammen, dann verbleibt der Werkstatt nur wenig Spielraum für gestrandete Renault-Fahrer, zumal wenn sie aus dem Westen kommen.

Eine Stunde später standen wir vor der empfohlenen Werkstatt. Zunächst parkte ich noch vor der Werkstatt. Der Pförtner, eine Mischung aus Rambo und eines der sieben Zwerge, ließ mich nicht so ohne Weiteres in den Hof fahren. In Deutschland würde diese Art von Werkstatt mutmaßlich als Hinterhofwerkstatt bezeichnet werden. Nur diese war ein ganzes Stück größer als eine deutsche Hinterhofwerkstatt. Sozusagen ein halbes Dutzend Hinterhofwerkstätten nebeneinander. Ein Schild der Firma Bosch – „Bosch-Fachbetrieb“ – konnte mein Vertrauen auch nicht gerade festigen. Anna versuchte also einen Mechaniker zu mobilisieren. Es ist in der Ukraine nicht einfach, einen Ukrainer zu mobilisieren, sprich zum Arbeiten zu bringen. Wenn dann auch noch ein WM-Fußballspiel läuft (Brasilien gegen England), dann bedarf es schon höherer Gewalt unter diesen erschwerten Bedingungen einen Ukrainer zu mobilisieren. Mithilfe des Managers gelang es dann, gleich zwei Mechanikern Beine zu machen. Widerwillig steckten sie ihre Nasen unter die Motorhaube meines Minivan. Einhelliges Urteil der beiden Kumpels: Das Auto muss an ein Diagnosegerät angeschlossen werden und das kostet 150 Griwna. Meine Geduld ging dem Ende entgegen. Noch mal Diagnosegerät? Zum fast dreifachen Preis? Und dann empfehlen sie uns auch noch eine Werkstatt, weil sie kein Handbuch haben – oder keine Lust – nicht mit mir. Anna erklärte dem Manager klipp und klar, dass wir bereits 60 Griwna in eine technische Diagnose investiert hatten und sie mir daher nicht begreiflich machen könnte, das gleiche noch einmal zu bezahlen. Man einigte sich darauf, nur dann bezahlen zu müssen, wenn definitiv der Fehler gefunden wird. Der Pförtner – olivgrünes T-Shirt, Kampfhose und Springerstiefel – ließ mein Auto auf den Werkstatthof. Ich kurvte das Auto in einer der Werkstattgaragen. Alles eng und die Sonne blendet beim Rangieren. Schließlich stand der Wagen.

Bekanntes Bild: Drei Ukrainer springen um mein Auto. Diagnosegerät. Anna und ich gehen in Deckung, schließlich wissen wir was kommt – und sie kam, die Rußwolke eines T-64-Panzers. Die Mechaniker liefen halb hustend und halb lachend aus der Werkstatt, einer völlig schwarz im Gesicht. Wir hielten uns weiter in Deckung. Die Ruß-Schwaden waren gerade verzogen, da wurden meine Nerven erneut auf die Probe gestellt. Ein Mechaniker erklärte mir, er müsse jetzt eine Probefahrt machen. Und sofort wieder dieses Bild vor meinen Augen – ich fragte mich, in welcher Wagenfarbe mein Auto um lackiert wird. Lange Rede kurzer Sinn, der besagte Mechaniker fuhr mit dem Auto vom Hof. Der Pförtner schloss dahinter das Tor. Fünf oder Zehn Minuten können eine verdammt lange Zeit sein, besonders dann, wenn ein Ukrainer mit Deinem Auto auf Spritztour geht. Schande über meine schlechten Gedanken – der Mechaniker kam mit dem Auto zurück. Stellte mir das Auto sichtlich zufrieden vor die Nase und sagte: Alles repariert! Ungläubig nahm ich den Autoschlüssel entgegen während Anna zum Manager ging, um den Preis für die Reparatur auszuhandeln. Ich verstand nur Bahnhof. Was war repariert? Und so plötzlich? Werde ich jetzt verarscht? Anna kommt mit einer Quittung über ungefähr 60 Griwna zurück und sagt: Sie haben alles repariert, mach Dir keine Sorgen. Aha – wenn sie das sagt, dann haben sie wohl etwas repariert. Aber was ist „alles“? Anna konnte mir das einfach nicht erklären.

Wir fuhren los, der Pförtner verlangte den KFZ-Schein und den Zahlungsbeleg. Lange prüfte er, ob das alles zusammenpasst. Kontrollierte mein Kennzeichen und nach einer kleinen Ewigkeit öffnete er das Tor und ich konnte losfahren. So ein Idiot, als kämen jeden Tag so viele Ausländer mit einem hustenden Renault Diesel, dass man diese nicht mehr auseinanderhalten könnte. Aber das ist einfach Show, auch „Rambo der Gartenzwerg“ braucht seine Berechtigung und sein tägliches Erfolgserlebnis. Hätte ich ihn auch sonst mit nur einer Zeile erwähnt? So habe ich ihm einen ganzen Absatz gewidmet. Ja, ich sehe das ein – der Pförtner hat am Ende recht. Tatsache, mein Wagen schnurrte los – wie immer, als wäre nie etwas gewesen. Willig nimmt der Diesel Gas an und setzt den Kraftstoff in Bewegung um. In solchen Momenten ist das Glück nicht mehr zu beschreiben – kein Wunder, nach mehr als 1.000 Kilometer Schleichfahrt. Was schlussendlich repariert wurde, werde ich wohl nie erfahren. Nachdem ich Anna ins Kreuzverhör genommen habe, steht zumindest so viel fest: Irgendwie war einfach die Dieselleitung verstopft.

Kleine Ursache, große Wirkung.

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