Einmal Kiew und zurück

Der Flughafen München ist morgens um kurz vor 7:00 Uhr noch weitgehend leer. Ich gehe zum Schalter der Swiss Air, um einzuchecken. Die Schlange ist kurz (ich bin der einzige) und die Dame der Swiss Air freundlich. Mit meinem verbliebenen Handgepäck wandere ich zur Abflughalle. Passkontrolle und anschließend wird mein Handgepäck auf Bomben und ähnliche Scherze mehr untersucht – allerdings ohne Ergebnis (alles andere hätte sicherlich mehr mich als den Bundesgrenzschutz überrascht).

Pünktlich gegen 8:30 Uhr startet die Maschine nach Zürich. Keine Stunde später erreiche ich Zürich und warte auf den Anschlussflug nach Kiew. Ich vertreibe mir die Zeit erst in dem einen oder anderen Duty-free-Shop. Sonderangebote ohne Ende: zum Beispiel acht Tafeln Schokolade für nur 15 Schweizer Franken, also rund 18 DM! Oder: eine (allerdings große) Schuhcremedose voll mit Kaviar für gerade einmal 1800 Schweizer Franken. Ich habe aus früheren Reisen Schweizer Franken bei mir. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, als würden mir die Franken ein Loch in die Hosentasche brennen, sofern ich sie nicht ausgebe.

Schließlich finde ich eine Ansammlung Internet-Terminals, die von Compaq kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Eine angenehme Art von Werbung – wie ich finde. Fast verpenne ich den Flug und etwas hastiger als geplant mache ich mich auf den Weg zum Abflug-Gate nach Kiew. Wieder wird mein Gepäck mit Röntgenstrahlen bombardiert. Beim Einstieg ins Flugzeug erfolgt eine zusätzliche Passkontrolle durch Mitarbeiter der Swiss Air. Doppelte Kontrolle sozusagen – schließlich wurde mein Visum schon beim Einchecken überprüft. Die Fluggesellschaften müssen sichergehen, ansonsten gibt es mächtigen Ärger, wenn sie einen Fluggast ohne gültiges Visum in die Ukraine einfliegen. Welchen Ärger ich dabei hätte? Ein Kontrollstempel kracht auf mein Ticket, guten Flug!

Ich sitze im Flugzeug zwischen zwei Russen oder Ukrainer. Beide sind typisch osteuropäisch in Jeans und Jeansjacke gekleidet. Eine Dusche hatten die beiden heute bestimmt nicht gesehen. Aber sie essen wie ich – mit Messer und Gabel. Im Flieger sind auffallend viele Deutsche oder zumindest deutschsprachige Passagiere. Aber nicht die feinen Geschäftsleute, nein, es sind biedere Typen in zu normalen Klamotten. Ich tippe auf Heiratstourismus, kann das aber nicht abschließend beurteilen. Sehe ich auch so aus? Ich stecke meine Nase in ein Buch und lese.

Nach gut zweieinhalb Stunden Flugzeit landet die Maschine in Kiew, genauer gesagt in Borispol. Während das Flugzeug die Landebahn verlässt und in die Parkposition rollt, kann ich aus dem Fenster (soweit das im Mittelsitz möglich ist) Flugzeuge russischer Bauart beobachten. Mir fallen insbesondere die großen Antonow-Transportflugzeuge auf. Aber auch kleine schnittige Geschäftsflugzeuge stehen startklar auf dem Rollfeld. Die meisten Maschinen gehören osteuropäischen Gesellschaften. Natürlich sind hier auch Flugzeuge der Lufthansa, oder anderer westlicher Fluggesellschaften zu sehen. Kiew hat zwei Flughäfen – Borispol ist der internationale Flughafen der Ukraine. Er wurde mit Krediten der Bankgesellschaft Berlin in den letzten Jahren modernisiert und ausgebaut. Aber der Charme russischer Betonkultur ist weitgehend erhalten geblieben – zumindest von außen betrachtet.

Mit einem Bus westlicher Bauart fahren alle Passagiere aus Zürich vom Rollfeld zu der Empfangshalle des Flughafens. Kaum zu übersehen: etwas bedrohlich anmutende ukrainische Grenzposten. Und: ein große gelb-blaue Tafel baut sich im Eingangsbereich auf. Hier ist in russischer und englischer Sprache etwas Unbekanntes von Versicherung zu lesen. Ich lese nur flüchtig und kann nichts Interessantes für mich entdecken. An der Passkontrolle haben sich fünf oder sechs lange Schlangen gebildet. Kurz nach der Maschine aus Zürich ist auch ein Flieger aus Prag hier in Borispol gelandet. Alle Passagiere haben sich hier eingefunden.

Die Menschenschlange bewegt sich nur sehr zäh vorwärts. Mich beschäftigt ein Schalter im hinteren Teil der Halle. Hier werden Versicherungen verkauft. Die Grenzbeamten schicken den einen oder anderen Passagier (in diesem Fall ein Schwarzer) zu dieser Verkaufsstelle zurück, nachdem er schon eine halbe Stunde in der Schlange gestanden hat, muss das doppelt ärgerlich für ihn sein. Ich frage drei Deutsche (Flugzeugbauer) die mit mir in der Schlange stehen, was es mit dieser Versicherung auf sich hat. Ergebnis: Ausländische Gäste sind verpflichtet, für die Ukraine eine Krankenversicherung abzuschließen. So eine Sauerei! Das wird allerdings nicht grundsätzlich kontrolliert. Die Flugzeugbauer waren schon 6 Mal in der Ukraine und bisher mussten sie nur einmal diese Krankenversicherung kaufen – für 20 US$ – versteht sich.

Ich beschließe es ihnen gleichzutun und ich kaufe vorerst keine Krankenversicherung. Dass ich in Deutschland ohnehin privat versichert bin, wird man hier wohl ohne großes Interesse zur Kenntnis nehmen. Für den nächsten Flug nehme ich eine Kopie meiner Versicherungspolice mit – Papier beeindruckt, gerade im Osten Europas! Endlich komme ich an die Reihe. Der Grenzbeamte ist garantiert jünger als ich. Wortlos und ohne eine Miene zu verziehen, nimmt er meinen Pass entgegen. Er tippt etwas in den Computer und knallt dann einen roten Stempel – völlig herzlos – genau auf mein schönes Visum. Ich kann gehen – ich bin drin. Obwohl, noch nicht ganz! Die Zollkontrolle steht mir noch bevor. Ich lese ein Schild in englischer Sprache: Wenn ich keine Waffen, keine Drogen, keine nuklearen oder hochfrequenten Dinge bei mir trage (das ist nur ein Auszug aus der Liste) kann ich durch den grünen Zollbereich gehen.

Im Gepäck habe ich jede Menge Hard- und Software, die sind weder nuklear belastet noch strahlen sie im Hochfrequenzbereich. Dennoch stelle ich mich im roten Zollbereich an, ich habe keine Lust auf Grün zu setzen und in Erklärungsnöte zu geraten. Dann sollen die Grenzer lieber gleich ihre Nasen in meinen Koffer stecken. Im Notfall muss ich den ganzen Schrott deklarieren und wieder mit nach Deutschland ausführen. Außerdem: die Schlange im grünen Bereich ist viel, viel länger. Vor mir hat ein Mann ein halbes Auto zerlegt und in Kisten und Koffern verpackt, so hat es zumindest den Anschein, denn ich kann Scheinwerfer, Motorteile und sogar zwei Autoreifen sehen. Die Zöllner zerlegen die Kisten und begutachten die Teile – in aller Ruhe. Zwischenzeitlich löst sich die Schlange im grünen Bereich langsam auf. Typisch!

Nun bin ich an der Reihe, aber bevor ich den Mund auch nur aufmachen kann, verweist mich der Zöllner zur Schlange im grünen Bereich. Murphys Gesetze gehen mir durch den Kopf. Ich wandere zum grünen Zollbereich. Dort muss ich nicht mehr lange warten, die Schlange war ja fast abgefertigt. Der Zöllner fragt mich in grausam schlechten Englisch: „How much money?“ Ich antworte in Englisch zurück: „I think arround 1000 US$.“ Daraufhin der Zöllner: „And creditcards?“ Ja, natürlich, zwei Stück. Der Zöllner: „What the limit?“ Der Sinn seiner Frage befremdet mich etwas, aber ja natürlich das Limit meiner Kreditkarten. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und antworte wahrheitsgemäß 5.000 US$ je Kreditkarte. Der Zöllner grinst zurück und entlässt mich – fast freundlich – aus der Zollkontrolle. Nun bin ich wirklich in der Ukraine.

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