Kiew im Jahr 2000

Die Kopftücher sind in Kiew kein Ausdruck der islamischen Religion. Kopftücher sind ganz einfach nur Kopftücher. Die Bevölkerung in der Ukraine ist vom Glauben her griechisch-orthodox geprägt. Das Wort griechisch-orthodox hat keinen nationalistischen Akzent, sondern bezieht sich auf den Ritus, in dem man die Gottesdienste feiert, d.h. im byzantinischen bzw. griechischen Ritus. Der ist zu unterscheiden vom lateinischen bzw. römischen Ritus der römisch-katholischen Kirche. Die Bevölkerung ist vor allem im Westen der Ukraine gläubig, natürlich auch eine Frage des Alters. Im Donbass zum Beispiel hat die Kirche bei weitem nicht den Einfluss. Alles in allem feiert die Kirche (nach der Wende) sowohl in Russland als auch in der Ukraine eine gesellschaftliche Wiederauferstehung.

Im Hintergrund kann man die Wechselkurse aus dem November 2000 erkennen. Damals bekam man für eine DM also 2,32 Griwnja und für einen US$ eben 5,45 Griwnja. So echt wahnsinnig haben sich die Kurse nicht verändert. Aktuell (2007) bekommt man 5,00 Griwnja für einen US$ und 6,75 Griwnja für einen Euro. So gesehen, hat der Euro (im Vergleich zur DM und zum US$) an Wert zugelegt. Allerdings muss man in diesem Zusammenhang auch folgendes sehen: Was bekam man im Jahr 2000 für zum Beispiel 10 Griwnja und was bekommt man heute für die gleichen 10 Griwnja? Über die Jahre sind die Preise in Kiew geradezu explodiert. Die Einkommenssteigerungen in der Bevölkerung halten da kaum mit. Jedenfalls nicht in der gemeinen Arbeiterklasse.

Die Ladeflächen alter LKWs dienen als Verkaufsfläche. Angeboten wird hier praktisch (fast) alles. Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Selbst Büromaterial für Schule und Arbeit. Innerhalb der weitläufigen Markthallen oder Marktzelte werden in kleinen Verkaufsabteilungen Kleidung und Textilien angeboten. Eine Box für Damenschuhe und die nächste Box für Kleider. Ein großer Teil der Verkaufsfläche ist selbstverständlich der Damenwelt vorbehalten. Die Textilien kommen überwiegend aus Fernost und aus der Türkei.

Sackweise Nudeln und Getreide. Erst beim eigentlichen Einkauf wird die erworbene Ware für den Kunden in handliche Portionen abgefüllt und eingepackt. Für mich – aus dem Westen kommend – ein völlig anderes Einkaufserlebnis. Die offene Ware, keine Selbstbedienung wie im heimischen Supermarkt und dazu das Gespräch. Nun gut, sofern man ein paar Brocken der russischen Sprache mächtig ist. Damals beschränkte sich mein Vokabular noch auf „Ja“ oder „Nein“ und ich war sicherlich mehr Beobachter als Kunde.

Selbst frischer Fisch ist im Angebot. Der Fisch wird lebend gelagert und schwimmt im Tank, der auf den LKW montiert wurde. Ob die Dame auf dem Foto – in dieser Montur – in den Tank steigt um den Fisch „verkaufsfertig“ zu machen? Ich glaube eher nicht. Doch offenbar handelt es sich um ein feuchtfröhliches Geschäft. Die Fische werden in den heimischen Gewässern um Kiew herum gefangen. Hochseefisch oder Kaviar gibt es in Luxus-Markthallen im Zentrum der Stadt oder in großen Supermärkten.

Wenn das nicht lecker und einladend zum Kauf aussieht? Schade nur, dass meine damalige Digitalkamera unter diesen Lichtverhältnissen schlappgemacht hat. Jahre später werde ich bessere Aufnahmen machen. Übrigens: Wenn man etwas Freundlichkeit mitbringt, darf man durchaus mal kosten und naschen. Die perfekte Art der Geschmacks- und Qualitätsprüfung. Natürlich stammt hier nicht alles aus der Ukraine. Die unendlichen Warenströme kommen z.B. aus Mittelasien und vom Schwarzen Meer.

Viele Lebensmittel kommen nicht nur vom Dorf, sie werden dort auch traditionell weiterverarbeitet. Eingelegte Gurken, Krautsalat oder eingekochte Früchte. Alles hausgemacht und fast immer lecker. Überhaupt ist das ukrainische Gemüse echt intensiv schmackhaft. Holland-Tomaten? Keine Spur! Der kleine private Anbau und vor allem das Saatgut sind klassisch. Vielfach werden Furchen per Pflug mit Hilfe von Pferden in den Boden gezogen. Pestizide wären viel zu teuer und so wird das Unkraut per Hand aus den Boden gerupft.

Zu dem Foto kommt mir eine kleine Anekdote in den Sinn, die ich freilich Jahre später mitbekommen habe. Ein westlicher Tourist (dem Dialekt nach stammte der junge Mann aus Österreich) bedauerte eine alte Babuschka, die am Wegesrand einen kleinen Obststand betrieb: „Mein Gott, was muss das für eine anstrengende Arbeit sein, wenn Sie die ganzen Bananen ernten müssen.“ Die gute Babuschka hat natürlich kein Wort Deutsch verstanden – ganz im Gegensatz zu mir. Den Spott konnte ich mir nicht verkneifen, an ihn gewandt meinte ich: „Glaubst Du wirklich, das in der Ukraine Bananen wachsen?“

Ein Foto von der entgegen gesetzten Verkaufsseite: Ausrangierte Lastwagen landen in der Ukraine (oder in Russland) nicht etwa in der Schrottpresse. Vielmehr werden die alten Laster nach brauchbaren Ersatzteilen durchsucht, ausgeweidet und anschließend als Lager- und Verkaufsflächen auf den lokalen Märkten oder am Straßenrand weiter genutzt. Pragmatisches Recycling und praktisches Business. Einfach und solide wie die LKWs selbst.

Foto leider nur verwackelt: Trotzdem ein nettes Dokument für den Umgang mit Fleisch. Wer hier allerdings spontan „iiih“ und „bääh“ ruft, der möge sich bitte an \“Gammelfleisch\“ aus Deutschland erinnern. Nicht zuletzt: In zehn Jahren habe ich mir nicht einmal den Magen verdorben. Ganz entscheidend dürfte sein, dass das Fleisch schnell umgeschlagen, zügig verbraucht und ordentlich durchgebraten wird. Und wieder fällt mir eine Anekdote ein, vielmehr eine tatsächlich erlebte Szene:

Hund und Katze in der Wurst? Ich glaube nein … das Foto ist in Kiew entstanden und nicht in China. Diese Würste dürften – so im Vergleich zu deutschen Wurstwaren – eine ganze Ecke gröber und deftiger ausfallen. Schmackhaft? Ja sicherlich, wenn gleich die Geschmäcker bekanntlich verschieden ausfallen. Ich persönlich halte mich in Sachen Fleisch- und Wurstwaren (unabhängig vom geografischen Standort) grundsätzlich etwas zurück.

Schenkt man offiziellen Angaben Glauben, so leben in Kiew rund 2,5 Millionen Menschen. Doch nicht jeder Einwohner in Kiew ist tatsächlich registriert. Der Zuzug von Menschen aus den ukrainischen Regionen hält ungebrochen an. Tatsächlich dürften in Kiew sehr deutlich über 3 Millionen Menschen leben. Ich habe auch schon von bis zu 5 Millionen Einwohnern gelesen, halte diese Zahl aber für übertrieben. Wie auch immer: Kiew ist, sowohl in der Fläche als auch in der Einwohnerzahl, sehr gut mit Berlin vergleichbar.

Impressionen aus Kiew – November 2000 – Seite 1

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